Lektorat – was genau ist das eigentlich? Was sind die genauen Tätigkeitsfelder eines Lektors bzw. einer Lektorin? Wie kannst du als Autor*in von seinen*ihren Diensten profitieren? Gleichen sich die Tagesabläufe aller Lektor*innen im Wesentlichen oder gibt es da vielleicht Unterschiede?

Diesen und weiteren Fragen gehe ich auf meinen unterschiedlichen Kanälen gemeinsam mit dir auf den Grund und versuche, dir einen Einblick in meinen Alltag als freiberufliche Lektorin zu verschaffen.
Lektor*in – ein vielseitiger Beruf
Doch die durch mich gesammelten Erfahrungen können sich von denen anderer Lektor*innen stark unterscheiden. Weil ich eine große Freundin von Vernetzung und Austausch bin und es immer interessant und hilfreich ist, andere Perspektiven einzubeziehen, habe ich zwei lieben Kolleginnen einige Fragen zu ihrem Werdegang, ihrer täglichen Arbeitsroutine und ihrer Einstellung zum Beruf der Lektorin gestellt.
Die Interviewpartnerinnen
Bevor es losgeht, noch kurz einige Worte zu meinen Interviewpartnerinnen:
Jennifer Jäger ist als Lektorin beim Verlag Droemer Knaur angestellt. Sie ist außerdem selbst Autorin, Bloggerin, YouTuberin und auf den unterschiedlichsten Kanälen unterwegs. Auf ihrem Instagram-Kanal teilt sie außerdem wertvolle Autor*innentipps, die ich dir sehr ans Herz legen kann! Heute beantwortet sie aber meine Fragen zum Thema Lektorat.
Hanka Leo ist unter dem Namen Lektographem seit vielen Jahren als freie Lektorin tätig. Ein Blick in ihre beeindruckenden Referenzen zeigt, dass sie schon mit den unterschiedlichsten Autor*innen zusammenarbeiten und ihren Texten den Feinschliff verpassen durfte. Außerdem betreut sie die ein oder andere Autor*innenwebsite und hat auch sonst fast überall dort die Finger mit im Spiel, wo es um phantastische Textformate und Spannungsliteratur geht.
Nun geht es aber los mit dem Interview – viel Spaß!
Möchtet ihr euch kurz vorstellen? Sagt doch mal ein paar Worte über euch und eure Tätigkeit.
Jennie: Mein Name ist Jennifer Jäger und ich arbeite seit Februar 2018 als Fantasy & SF Lektorin bei der Verlagsgruppe Droemer Knaur. Gerade mit meiner Spezialisierung auf phantastische Stoffe ging für mich ein großer Traum in Erfüllung.
Hanka: Ich stelle mich eher selten vor, sondern vielmehr hinter andere Leute – denn als Freie Lektorin ist man so eine Art Assistentin für alle Belange der Textarbeit. Bevor ich Germanistin wurde, war ich (unter anderem) Regieassistentin am Theater, wo man ebenso deutlich die wunderbare zweite Reihe erkennt: Auf der Bühne die Schauspielenden, daneben die Regie, und dahinter all die Unsichtbaren, deren Namen ganz klein im Programmheft stehen. Jetzt gibt es große Namen auf Covern und kleinere Verlagslogos darunter, und vielleicht den meinen in 4pt Schriftgröße im Impressum. Die Unsichtbarkeit ist Teil meines Berufes – ebenso wie mein Stolz darauf, am Gelingen eines Werkes beteiligt zu sein.
Die Unsichtbarkeit ist Teil meines Berufes – ebenso wie mein Stolz darauf, am Gelingen eines Werkes beteiligt zu sein.
Hanka Leo (Lektographem)
Wie seid ihr zur Tätigkeit als Lektorin im Verlag bzw. als freie Lektorin gekommen?
J: Mein Werdegang ist leider alles andere als mustergültig. Während meines Studiums arbeitete ich viel im Bereich Selfpublishing und Marketing, absolvierte nach meinem Bachelor ein Volontariat bei neobooks und machte mich nach meiner Arbeit dort selbstständig. In der Selbstständigkeit war ich unter anderem Chefredakteurin für das Magazin der selfpublisher, aber auch Marketingberaterin für Knaur Fantasy. So hatte ich mich bereits umfassend mit dem Programm vertraut gemacht und konnte als Lektorin direkt einsteigen.
H: Das ist wohl so eine typische Das-Hobby-zum-Beruf-machen-Geschichte, denn ich bin eine schreckliche Besserwisserin. Und um einen sehr erfolgreichen fiktiven Freiberufler zu zitieren: „If you are good at something, never do it for free.“ (Wer dieses Zitat sofort zuordnen kann, ahnt, in welchem Genre ich mich größtenteils bewege, und wir verstehen uns.) Zudem hieß es, als ich nach Berufen im Tätigkeitsfeld Sprache suchte: „Das Lektorat ist die Königsdisziplin.“ Und weil ich nicht nur Besserwisserei, sondern auch Selbstüberschätzung beherrsche, stand meine Berufswahl fest und ich schrieb mich für ein Germanistikstudium ein.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei euch aus?
J: Zunächst beginne ich sehr klassisch und unspektakulär damit, Mails abzuarbeiten. Oft habe ich Anfragen von Redakteur*innen, Nachfragen von Übersetzer*innen oder Rückfragen von Autor*innen. Aber auch andere Abteilungen haben viele Fragen an das Lektorat: Passt das Cover zum Inhalt? Wie soll der Klappentext aussehen? Und vor allem natürlich: Manuskripte prüfen, Verhandlungen führen, Texte redigieren.
H: Derzeit weckt mich mein altersschwacher Kater mit irgendwelchen Mätzchen, die ich in aller Früh wegputzen darf – aber das zählt wohl nicht als Teil des Arbeitsalltags. Der beginnt klassisch mit Koffein und Mailprogramm, hält mich mit Absprachen, Angeboten, Aktualisierungen, Gefallen, Durchsichten (und diese Interviewfragen beantworten) bis Mittag bei Laune. Es folgt ein Nachmittag, der meist wenig mit Arbeit, aber einiges mit eingangs erwähntem Kater zu tun hat, und abends gehts dann endlich, endlich ans eigentliche Lektorat: kopfüber in den aktuellen Text, ohne Mails, ohne Telefon, nur ich und die Figuren in deren Welt. Klingt pathetisch, ist aber so: Auch ich bin Leserin und möchte mich auf die Welt einlassen, in der ich mich langsam bewege und kritisch umschaue, hier und da was abholze, anpflanze und nachfrage, damit es den Lesenden später an nichts mangelt.
Zugegeben, mir mangelt es an solchen Tagen bisweilen an Vitamin D; deswegen gibt es (in hausarrestfreien Zeiten) auch Außendienst. Dabei sitze ich mit Schreibenden im Writers Room und begutachte Serienplottings oder ich treffe Autor*innen zu Projektbesprechungen oder besuche Ausstellungen, Bibliotheken und interessante Orte zu Weiterbildungszwecken.
Wie viel eurer Tätigkeit besteht aus enger Arbeit am Text?
J: Die meiste Textarbeit macht bei mir die Begutachtung aus. Redaktionen vergeben wir meist extern und konzentrieren uns im Verlag vor allem auf das Projektmanagement und die Akquise.
H: Viel bis sehr viel, und würde ich was von Zahlen verstehen, wären es wahrscheinlich drei Viertel meiner Zeit. Der Rest ist Kommunikation, Recherche und das Verfluchen des Büroapparats einer Freiberuflichkeit.
Was gefällt euch besonders gut an eurem Beruf?
J: Ich liebe es, wie abwechslungsreich er ist. Je nach Phase des Programms stehen andere Aufgaben an, wir halten Präsentationen, helfen beim Coverprozess, tauschen uns mit Schreibenden aus. Kein Tag läuft gleich ab und das macht es sehr spannend.
Je nach Phase des Programms stehen andere Aufgaben an […]. Kein Tag läuft gleich ab und das macht es sehr spannend.
Jennifer Jäger, Lektorin bei Droemer Knaur
H: Dass er sich die meiste Zeit nicht wie etwas anfühlt, was manche Leute mit „Beruf“ meinen. Dass ich jeden Tag etwas Neues erfahre. Dass ich flexibel mit meiner Zeit und meinem Arbeitsort umgehen kann. Und natürlich, dass ich Geld fürs Besserwissen bekomme!
Außerdem räume ich gern auf. Ehrlich! Sei es meine Wohnung oder fremde Worte (bisweilen sind es auch fremde Wohnungen, öchm): Alles wird für die richtige Stimmung an seinen Platz geschoben. Lektorat ist aufräumen im Text.
Gibt es auch Aspekte an eurer Tätigkeit, die euch stören? Vermisst ihr etwas?
J: Manchmal würde ich gerne enger am Text arbeiten. Ich betreue zwar pro Programm auch einige ausgewählte Texte inhaltlich, aber die stilistische Redaktionen gebe ich eigentlich immer raus. Das fehlt mir manchmal.
H: Nach zehn Jahren in diesem Beruf fehlt mich vor allem etwas, was weniger mit meiner Tätigkeit als mit meiner Freiberuflichkeit zu tun hat: Staatliches Verständnis. Dass man mit diesem Beruf schwerlich wohlhabend wird, ist offensichtlich. Doch auf Dauer von der Hand in den Mund zu leben, weil einen Versicherung und Finanzamt recht erfolgreich vom Rücklagenbilden abhalten, nervt einfach.
Aber da es hier ums Lektorat gehen soll: Nö. Ich mag jede Aufgabe, die den Text verbessert, sei es Lektorat oder Korrektorat, Umbruchkorrektur oder Klappentextschreiben, Gutachtenverfassen oder Testlesen. Störungen gibt es wie in jedem Beruf mal im zwischenmenschlichen Bereich, aber seit ich mir meine Kund*innen aussuchen darf, ist es auch an dieser Problemfront sehr ruhig geworden.
Möchtet ihr sonst noch etwas loswerden?
H: Letztens sprach ich mit einer Freien Lektorin, die eher zufällig in diesem Beruf landete und mit leuchtendem Gesichtsausdruck davon schwärmte, den besten Job überhaupt zu haben. Ich konnte ihr nur beipflichten.
Es gibt genug Texte, die euch brauchen; ganz egal, ob Belletristik, Werbung, Sach- oder Fachtexte. Kleinkariertheit ist kein Manko. Penibilität ist eine Stärke.
Hanka Leo (Lektographem)
Also: Wenn ihr Autor*innen mögt und gern etwas über Sprache lernt, wenn ihr neue Formulierungen feiert und keine Angst habt vor finanzieller Wenigsicherheit: Es gibt genug Texte, die euch brauchen; ganz egal, ob Belletristik, Werbung, Sach- oder Fachtexte. Kleinkariertheit ist kein Manko. Penibilität ist eine Stärke. Und Ningelei kann etwas sein, womit man den Kater durchfüttert.
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